Landesschule arbeitet mit Virtueller Realität
Erst hat die DRK-Landesschule die Entwicklung eines VR-Systems unterstützt, jetzt führt sie das System schrittweise als Unterrichtsmethode ein.
Notfälle und Einsätze trainieren – das macht man fast täglich an der DRK-Landesschule Baden-Württemberg. Übungsszenarien sind fester Bestandteil vieler Aus- und Fortbildungen. Technisch geht die Schule dabei jetzt neue Wege: Erstmals gibt es Übungsszenarien in virtuellen Umgebungen. Schülerinnen und Schüler werden mit VR-Brillen direkt hineinversetzt in ihre jeweilige Einsatz-Situation.
Brille auf, Kabel sortieren, eingewöhnen, Equipment checken: Die ersten Minuten mit einer VR-Brille auf dem Kopf sind noch gewöhnungsbedürftig. Aber dann kommt dieser besondere Moment, oft nach etwa fünf Minuten einer Übung. Diesen Moment hat Dominik Wichmann jetzt schon häufig miterlebt, der Schulleiter der Bildungseinrichtung Ulm: „Plötzlich merkt man, wie sich das Verhalten der Übenden ändert. Das ist der Augenblick, in dem sie die Übungssituation als real empfinden. Realer, als es unsere üblichen Übungssituationen im Lehrsaal je sein könnten.“ Mit der Brille und dem Kopfhörer verschwinden die Umgebung, die Mitschülerinnen und Mitschüler, ihr Husten und Rascheln. „Viele sagen hinterher, dass sie das Szenario fast wie einen echten Einsatz erlebt haben.“
Schon seit 2018 beschäftigt man sich am Bildungsstandort Ulm der DRK-Landesschule intensiv mit dem Thema Virtuelle Realität. Damals kam durch einen Zufall jener Kontakt zustande, auf dem heute alles aufbaut: ein Kontakt zu Tricat, einem Anbieter von virtuellen 3D-Lern- und Arbeitswelten, der ein Lehr- und Lernformat für den medizinischen Bereich entwickelte. Das Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) war Projektpartner des Forschungsprojekts. „Wir haben uns als Probanden angeboten“, berichtet Wichmann. „Wir hatten hier die Möglichkeit, das System mit einer Vergleichsgruppe zu testen. Sprich, wir haben parallel eine Gruppe mit VR-Unterstützung unterrichtet und eine zweite Gruppe ohne die neue Technik.“
Das System können nun nach und nach immer mehr Gruppen an der DRK-Landesschule selbst ausprobieren: Die Entwicklungsphase ist abgeschlossen, nun kann man es in der Praxis nutzen, und die DRK-Landesschule ist einer der Erstanwender. Sie hat in einem ersten Schritt sechs VR-Sets angeschafft, Brillen und Lizenzen. In Ulm und in Villingen-Schwenningen haben Lehrkräfte bereits die Einweisung absolviert, die Bildungsstandorte Stuttgart und Sinsheim werden als nächste folgen. Die Landesschule will das System nun zwei Jahre erproben, leihweise auch an weiteren Standorten. Danach will sie prüfen, ob weitere Sets für alle Standorte angeschafft werden sollen. Übungen in der virtuellen Realität sollen in der Zukunft in der Ausbildung von Notfallsanitätern fest integriert werden. Parallel kooperiert die Landesschule mit Tricat, um das System weiterzuentwickeln und mehr Übungsszenarien zu integrieren.
Auch in weiteren Aus- und Fortbildungen könnte man das System später gut einsetzen. „Es eignet sich nicht nur für den Rettungsdienst, sondern auch bei Themen des Ehrenamts oder, weitergedacht, im Bereich Klinik“, sagt Dominik Wichmann. „Die Übenden brauchen keine Vorerfahrung und können nach etwa 20 Minuten Eingewöhnungszeit gut damit arbeiten.“ Klare Vorteile sieht er beim Debriefing: „Es ergeben sich komplett neue Möglichkeiten, beispielsweise unendlich viele Perspektiven.“
Vieles sei mit dem System künftig denkbar: dass zusätzlich zu begleitetem Training auch autonomes Trainieren der Schülerinnen und Schüler möglich wird. Dass man so lange übt und Übungen wiederholt, bis man einen vorgegebenen Punktwert erreicht und dadurch auf ein neues Level kommt – offenbar kann durch dieses Setting eine Extra-Portion Motivation entstehen, berichtet Dominik Wichmann. Denkbar ist auch, dass sich Szenarien aus dem ersten Ausbildungsjahr im zweiten Jahr ganz gezielt wiederholen, dann aber mit neuen Rahmenbedingungen, die zum aktuellen Lernstoff passen. „Beispielsweise beim Hypertonus: Im ersten Jahr wird das Grundwissen übers Krankheitsbild und die Versorgung vermittelt, im zweiten Jahr geht es um die konkrete Medikamentengabe“, sagt Wichmann. Außerdem sollen Lehrunterlagen und Nachschlagewerke im virtuellen Raum hinterlegt werden, so dass sie abrufbar sind und man während des praktischen Übens quasi nochmal in der Theorie nachschauen und abgleichen kann.